Die ungeheure Verschleierung der Haushaltslage durch Sondervermögen!


Bankhaus Rott, vom 09.10.2023

 

Das bisschen Haushalt

Die berüchtigten Sondervermögen haben in der Haushaltswirtschaft des Bundes eine wesentliche finanzielle Rolle inne. Die Verschleierung der tatsächlichen Haushaltslage des Bundes nimmt mit steigendem Volumen dieser Vehikel derweil ungeahnte Ausmaße an.

Das Volumen der Sondervermögen in Deutschland hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Allein mit der Schaffung des „Klima- und Transformationsfonds“, des „Wirtschaftsstabilisierungsfonds Corona“, des „Sondervermögens Bundeswehr“ sowie des „Wirtschaftsstabilisierungsfonds Energiekrise“ wurden in wenigen Jahren Sondervermögen im Umfang von rund 555 Mrd. Euro eingerichtet. Diese Summe entspricht rund 14 % des deutschen Bruttoinlandsproduktes von 2022.

Zwar wird immer von „Sonderfaktoren“ gesprochen, aufgrund derer die Auflage solcher Fonds notwendig sei, aber das Leben besteht nun einmal aus einer Aneinanderreihung von Sonderfaktoren und ruhigen Phasen. Da Sondervermögen Ausnahmen von den Grundsätzen der Haushaltsführung des Bundes sind, stellt sich die Frage, wodurch diese Vorgehensweise eigentlich gerechtfertigt wird.

Diese Frage stellte unlängst auch der Bundesrechnungshof. Nach dessen Auffassung hat die Finanzierung von Zwecken, die zur Kernaufgabenerfüllung des Staates gehören, auch aus dem Kernhaushalt des Bundes zu erfolgen.

Die Kernaufgaben des Staates sind kurz gefasst die Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit, die Sicherstellung der inneren und äußeren Sicherheit sowie die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Ansonsten sollten die Bürger in Ruhe gelassen werden.

Wie die Sondervermögen und viele aktuelle Beispiele aus der Realität zeigen, wird es für die Bürger nicht billiger, wenn die Kernaufgaben zugunsten anderer Dinge vernachlässigt werden. Rein technisch könnten sämtliche Finanzierungen auch direkt im Rahmen des Bundeshaushalts erfolgen. Dann allerdings käme man rasch mit den Schuldengrenzen in Konflikt.

Von den Sondervermögen des Bundes, die sich insgesamt auf rund 869 Mrd. Euro belaufen, sind lediglich rund 10 % als „werthaltig“ klassifiziert. Der Großteil hingegen ist kreditfinanziert, was die Nutzung der in der Bevölkerung mittlerweile beliebten Bezeichnung "Sonderschulden" durchaus rechtfertigt.

Problematisch ist, abgesehen von der finanziellen Seite, auch die politische und rechtliche Dimension, denn die Sondervermögen verzerren die echte Ausgabensituation des Staates enorm. Die Ausgaben der Sondervermögen beliefen sich im Jahr 2022 auf ca. 10 % des gesamten Bundeshaushalts. Im Jahr 2023 wird dieser Wert vermutlich bei 36 % liegen.

Auch die Nachvollziehbarkeit des Ausweises der Kreditaufnahme und der Schulden des Bundes leidet unter der Verlagerung: Die Nettokreditaufnahme des Bundes unter Berücksichtigung von Sondervermögen war 2022 um mehr als zwei Drittel höher als ausgewiesen.

Im laufenden Jahr wird sie in etwa das Vierfache betragen. Sämtliche Aussagen zur Haushalts- und Ausgabenlage des Bundes, die ohne die Berücksichtigung von Sondervermögen getroffen werden, sind daher irreführend. Gerade in Zeiten, in denen es politisch opportun ist, stets beflissen für eine „gute Sache“ den Finger zu heben, scheint das Interesse daran, die Kosten und Konsequenzen dieser vermeintlich guten Sachen unter den Teppich zu kehren, groß zu sein.

Die folgende Grafik des Bundesrechnungshofs verdeutlicht das Ausmaß des Einflusses der Sondervermögen auf den Bundeshaushalt. 

 

Im Jahr 2021 wurde das Verfahren der Kreditaufnahme von Sondervermögen geändert. Die Änderung hat Auswirkungen auf die Schuldenregel des Grundgesetzes.

(Quelle: Grundgesetz Artikel 115 (2), Auszug)
(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen
Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen (…).

Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind im jeweiligen Haushaltsjahr folglich ohne Kredite auszugleichen, es sei denn, die Kredite überschreiten nicht 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts. In Zeiten „besonderer konjunktureller Entwicklungen“ sind Ausnahmen möglich, die später ausgeglichen werden sollen. Diese Regelungen galten ursprünglich auch für Sondervermögen, die nach 2010 errichtet wurden.

Das entsprechende Verfahren zur Kreditaufnahme für Sondervermögen wurde jedoch 2021 geändert, sodass es seither möglich ist, einem Sondervermögen größere Mittel zuzuführen, ohne die Restriktionen der Schuldenregel zu beachten. Der Bundesrechnungshof sieht dies kritisch, das Bundesfinanzministerium nicht.

Abschließend kommen wir noch auf einen Vergleich der oben genannten Werte mit den jährlichen Steuereinahmen des Bundes zu sprechen. Diese umfassten 2022 rund 337 Mrd. Euro. Für das laufende Jahr liegt die Schätzung bei ca. 360 Mrd. Euro. Die Nettokreditaufnahme inklusive der Sondervermögen belief sich daher in 2022 auf 58 % der gesamten Bundessteuereinnahmen, im laufenden Jahr werden es erneut mehr als 50 % sein.

Ausgewiesen werden hingegen in 2023 nur knapp 13 %. Auch im Vergleich zur kommunalen Ebene ist das aufschlussreich. Die Sondervermögen werden im laufenden Jahr die Summe der Steuereinnahmen sämtlicher deutschen Gemeinden deutlich übersteigen. Der Kritik des Bundesrechnungshofes ist somit vollständig nachvollziehbar.

„Was bedeutet das für mich konkret!?“

 

Die ausufernde Nutzung von Sondervermögen verschleiert die wahre Haushaltssituation des Bundes. Öffentliche Darstellungen, die diese Vehikel ignorieren, sind schlichtweg irreführend. Dabei geht es im Kern nicht darum, den Einsatz der Mittel aus den Sondervermögen in Abrede zu stellen, sondern lediglich darum, ein transparentes Bild der Finanzsituation des Bundes zu erreichen.